Arbeitsfelder

Die IGW steht für die Entwicklung einer Sozialen Gesundheitswirtschaft

Der gegenwärtige Krisenmodus in der Gesundheitswirtschaft darf kein Dauerzustand werden. Die Erwartungen an den Staat, alles zu lenken und zu finanzieren, dürfen nicht zu seiner Überförderung führen. Stattdessen sollte die unternehmerische Vielfalt jedes Einzelnen gefördert werden. In den Mittelpunkt der Diskussion gehört die Rolle der künftigen sozialen Gesundheitswirtschaft. Gefragt sind jetzt nicht Jammern und Resignation. Gefordert sind vielmehr Mut und Zuversicht in Richtung künftiger Modernität. Dabei ist es ein hohes ethisches Ziel, allen Menschen auch in Zukunft eine innovative Medizin verfügbar zu machen und gleichzeitig die Qualität der Leistungen zu garantieren.

Die Coronakrise hat gezeigt, dass Deutschland über ein starkes, handlungsfähiges und belastbares Gesundheitssystem verfügt. Gleichwohl sind aber auch Schwächen und Verbesserungsbedarfe deutlich geworden. Deshalb kommt es darauf an, die richtigen Lehren zu ziehen und nicht in veraltete Mechanismen zu verfallen. Jetzt ist der geeignete Moment, moderne, insbesondere digitale Strukturen zu schaffen, Prozesse nachhaltig an Patienten auszurichten und die Unternehmenskultur zu stärken. Wichtig sind künftig zielgerichtete und entscheidende Schritte zur Schaffung einer Sozialen Gesundheitswirtschaft mit einer patientenorientierten Wettbewerbsordnung.

Für die IGW ergeben sich daraus aktuell fünf wesentliche Arbeitsfelder:

Arbeitsfeld 1: Digitalisierung/Prozesse
Das deutsche Gesundheitssystem ist nach wie vor durch eine starke Segmentierung gekennzeichnet. Dazu tragen ganz erheblich die sehr unterschiedlichen Finanzierungsgrundlagen bei, die eine Überwindung der tradierten Grenzen zwischen den Systemteilen verhindern. Ambulante und stationäre Angebote sind deshalb nur sehr unzulänglich vernetzt. Die veraltete Trennung zwischen den in den Praxen behandelten „Leichtkranken“ und den in den Krankenhäusern versorgten „Schwerkranken“ lebt organisatorisch fort, obwohl die Entwicklung der modernen Medizin inhaltlich längst die Behandlung von komplexen Erkrankungen auch ambulant ermöglicht. Der Gesundheitsmarkt wird dieser Entwicklung immer noch nicht gerecht. Praxen und Krankenhäuser repräsentieren nach wie vor genauso stark abgeschottete eigene Welten wie die Rehabilitationskliniken, Apotheken und die vielen anderen Gesundheitsanbieter. Es ist ausgesprochen schwierig, sich in diesem „Dickicht“ zurechtzufinden.

Zeitgemäß ist das schon lange nicht mehr. Der mit vielen Informationen über Gesundheitsangebote ausgestattete Konsument erwartet Komplettlösungen. Er ist interessiert an umfassenden Lösungen aus Produkten und Dienstleistungen, wie in anderen Branchen auch. Das erfordert, ambulante, stationäre und rehabilitative sowie pflegerische Angebote zu „Strukturierter Medizin“ zu verknüpfen. Es bedarf eines durchgängigen Prozesses, in den die Zulieferung von Medizinprodukten, individuelle Pharmaversorgung, Laborleistungen, Heil- und Hilfsmittel und vieles andere mehr eingesteuert wird. Die Zukunft der Medizin liegt in ganzheitlichen Angeboten über die Institutionen hinweg. Die Bedeutung von Prozessen wird erheblich zunehmen. Hohe Qualität wird nicht mehr von den Formalqualifikationen der Experten garantiert, sondern  von den objektiven Ergebnissen der Behandlungslösungen.

Um die Chancen der Digitalisierung in der Gesundheitswirtschaft voll nutzen zu können, ist es erforderlich, unter Beteiligung aller Akteure aus Medizin und Pflege sowie Ökonomie und Technik, die primären Behandlungs- und die sekundären Administrations- und Logistikprozesse zu strukturieren und zu harmonisieren.

Arbeitsfeld 2: Pflege

Die Coronakrise hat es noch einmal sehr deutlich gemacht. Die pflegerische Versorgung der Patienten und deren Angehörigen spielt im Krankenhaus eine zentrale Rolle. Deshalb ist es von ausschlaggebender Bedeutung, die beruflich Pflegenden und das Pflegemanagement in die anstehenden Veränderungen und Entwicklungen intensiv mit einzubeziehen. Auf der Agenda stehen zahlreiche Thema. Ein essentieller Punkt ist die Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufes. Der Fachkräftemangel nimmt bedrohliche Ausmaße an und wird damit zu einem bedeutsamen unternehmerischen Faktor für den Bestand und für potentielles Wachstum in den Kliniken. Arbeitsbelastung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Gesundheit und Resilienz und nicht zuletzt die Vergütung sind hierbei wichtige Trigger für berufliche Zufriedenheit.

Nur innovative Prozesse machen es in Zukunft möglich, die aufgrund der demographischen Entwicklung weniger werdenden gut ausgebildeten Pflegekräfte bei der Betreuung der Patienten sinnvoll einzusetzen. Die beruflich Pflegenden sind mit ihrer umfassenden Kompetenz und ihrer großen Nähe zu den Patienten bei dieser Entwicklung besonders gefordert. Der Schlüssel liegt in einem wirksamen Workflowmanagement auf der Basis strukturierter und patientenorientierter Behandlungsprozesse. Die Chancen und technischen Möglichkeiten der Digitalisierung müssen dabei unbedingt genutzt werden, um die Pflegekräfte von bürokratischen und überflüssigen Tätigkeiten zu entlasten. Mit dieser notwendigen Entwicklung steigt nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit, sondern auch die Patientenzufriedenheit wird unmittelbar positiv beeinflusst.

Der Berufsgruppe „Pflege“ müssen adäquate Beteiligungsrechte und Entscheidungsspielräume in allen Führungsebenen zugesichert werden. Ein zeitgemäßer Faktor für eine sehr gute Versorgungsqualität ist in jeder Hierarchiestufe des Krankenhauses eine exzellente interprofessionelle Zusammenarbeit, basierend auf einem agilen und inspirierenden Führungsklima aus Vielfalt, Beteiligung und Demokratie.


Arbeitsfeld 3: Gesundheitsanbieterfinanzierung
Die Gesundheitswirtschaft braucht einen starken Staat, der die Rahmenbedingungen für die Handelnden im Interesse der Patienten verbindlich festlegt, aber davon abgesehen nicht ständig in das operative Geschehen der Betriebe kleinteilig eingreift. Deshalb muss das Krankenhausfinanzierungssystem grundlegend überarbeitet und erweitert werden. Denn das DRG-System hat zwar die Verweildauer gesenkt, aber gleichzeitig die Mengenausweitung bewirkt. Zudem ist die Pflege nicht ausreichend berücksichtigt worden. Dieser ausschließliche Bezug auf die medizinische Diagnose ist nicht mehr zeitgemäß. Auch der bürokratische Aufwand muss abgebaut werden.

Die Gesundheitsanbieter-Finanzierung muss den Patientenbezug stärken, indem das Patientenwohl zu einem weiteren entscheidenden Maßstab der Klassifizierung wird. Auch müssen patientennahe Investitionen Teil der Finanzierung werden. Da die Möglichkeiten der ambulanten Versorgung deutlich zugenommen haben und nachgefragt werden, ist es nötig, die Entgeltsysteme der ambulanten und stationären Versorgung zu harmonisieren. Um den Wettbewerb stärker an der Qualität der Therapie zu orientieren, sollte man die DRGs zu PRGs, Patient Related Groups, weiterentwickeln.
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Arbeitsfeld 4: Zukunft der Krankenkassen
Krankenkassen entwickeln zusammen mit Unternehmen der Gesundheitswirtschaft – beispielsweise mit Start-Ups – digitale Lösungen für die Versorgung der Patienten. Diese Möglichkeiten müssen erhalten werden. Zudem sollten Patientinnen und Patienten vom vorhandenen Wissen in Forschung und Versorgungspraxis profitieren. Die Daten aus der elektronischen Patientenakte können dazu beitragen und plangemäß ab 2023 für die Forschung bereitgestellt werden – Versicherte sollten ihre ePA-Daten künftig aber auch ihrer Krankenkasse zur Verfügung stellen können. Für das Versorgungsmanagement besonders von schwer erkrankten Patienten benötigen die Krankenkassen mehr Möglichkeiten, Versicherte aktiv über die individuelle Inanspruchnahme medizinischer, pflegerischer und gesundheitsfördernder Hilfen zu informieren und zu beraten.

Arbeitsfeld 5: Arzneimittelversorgung sichern und modernisieren
Deutschland wurde früher gerne schon einmal als „Apotheke der Welt“ bezeichnet. Ausgedrückt werden sollte damit die Weltgeltung der Pharmaindustrie in unserem Land. Die Situation hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert. Die Schwerpunkte der Produktion, aber auch der Forschung und Entwicklung sind längst in andere Teile der Welt abgewandert. Zwar ist der Absatzmarkt der gesamten Europäischen Union größer als jeder andere Ländermarkt, aber durch die stark differierenden Gesundheits- und Sozialsysteme der einzelnen Staaten sehr segmentiert. Die jeweiligen Regulierungen erfordern differenzierte Vermarktungsstrategien. Um die Position der Pharmabranche in Europa deutlich zu stärken, ist deshalb die Harmonisierung der Marktordnung von besonderer Bedeutung. Zudem ist eine klare Clusterung der europäischen Forschungszentren notwendig, um langfristig mit den renommierten Einrichtungen in anderen Teilen der Welt mithalten zu können.

Medizinische Innovationen eröffnen dabei neue Wege der Prävention und frühzeitiger Erkennung von Krankheiten und haben das Potential die Behandlung vieler Erkrankungen zu revolutionieren (Diagnostik, Präzisionsmedizin, Zell- Gentherapie, Immunonkologie, Impfstoffe). Die Förderung der Entwicklung eines europäischen Gesundheitsdatenraums und ein verbesserter Zugang würden die europäische Forschung und Innovation im internationalen Vergleich extrem stärken.

Um innovative Projekte auf dem Pharmamarkt in Europa zu fördern, sind angesichts der langen und damit kostspieligen Entwicklungszeiträume kreative Modelle von Nöten. Public Private Partnership mit der Teilung bestimmter Entwicklungskosten ist als ein solcher Ansatz denkbar, genauso wie Gutschriften für Patentverlängerungen erfolgreicher Arzneimittel oder entsprechender Unternehmen. Gleiche Fördermechanismen können auch zur Sicherung von Lieferketten durch Produktionsverlagerungen zum Einsatz kommen.

Diese Hauptarbeitsfelder wird die IGW in den kommenden Monaten verstärkt in die öffentliche Diskussion einbringen. Dazu werden entsprechende Thesenpapiere erarbeitet und intern abgestimmt. Sie sollen dann das aktuelle Erscheinungsbild der IGW in der Fachöffentlichkeit prägen und die Bedeutung der Positionen stärken.